Tobias Krüger, was ist die größere Herausforderung: Mensch oder Technologie?

Author
Carolin Stolpe
Impact Distillery
Author
Tobias Krüger
Otto Group

Die Otto Group gehört zu den First Movern, wenn es um das Thema Kulturwandel in der digitalen Transformation geht. Verantwortlich dafür ist Tobias Krüger, Division Manager für den Kulturwandel 4.0. Das Interview führt Carolin Stolpe.

In unseren Interviews sprechen wir mit Expertinnen und Experten über die Chancen und Herausforderungen von Data Science in der digitalen Transformation. Im Gespräch mit Tobias Krüger geht es um die wachsende Bedeutung der Unternehmenskultur und wie Digitalkompetenzen in Unternehmen gefördert werden können.

Tobias Krüger, was ist die größere Herausforderung in der digitalen Transformation? Mensch oder Technologie?

Bei der Otto Group haben wir für uns gelernt, dass die technische Komponente bzw. die Technologie per se eigentlich immer gut beherrschbar ist. Das geht mal etwas schneller oder auch etwas langsamer, lässt sich im Zweifel aber häufig auch über mehr Geld lösen. Viele Daten- und IT-Services lassen sich ja auch am Markt einkaufen.

Damit ist die digitale Transformation für uns kein primär technologisches Thema, denn das bekommst du am Ende immer irgendwie gelöst, sondern es ist vor allem ein kulturelles Thema. Wie schaffst du es, das Mindset zu verändern und eben nicht nur die Anwendung von Technologien in einem Unternehmen zuzulassen? Wie müssen sich auf einer Metaebene Rahmenbedingungen verändern? Welche Werte und neuen Verhaltensweisen werden gefordert?

Wie sehen solche veränderten Rahmenbedingungen aus?

Ich glaube, man muss viel mehr in Enabling investieren. Ein gutes Beispiel ist die Einführung von Office 365, das wir 2020 im gesamten Unternehmen eingeführt haben. Das technische Rollout hat vielleicht 10 Prozent des gesamten Prozesses ausgemacht, das Adaptionskonzept dagegen 90 Prozent. Dazu gehören Use Case Shopping, das Aufbauen von Communities, Mitarbeitenden Ängste zu nehmen und Arbeitsabläufe umzustellen. Das Verhältnis ist natürlich nicht immer 10 : 90, aber ähnlich für viele Projekte in der digitalen Transformation.

Was ist noch wichtig?

Vertrauen und eine gewisse Transparenz in der Kommunikation sind wichtig. Akzeptanzprobleme entstehen immer dann, wenn man sich in einer Unternehmenskultur bewegt, die nicht zulässt, Ängste auszusprechen. Wir versuchen deshalb, Mitarbeitende in ihren lokalen Kontexten und lokalen Ängsten abzuholen.

Ich glaube, neben diesen Themen ist es auch wichtig, den Mitarbeitenden hohe Freiheitsgrade zu schaffen. Als Unternehmen versuchen wir Richtlinien und Leitplanken zu entwickeln, also einen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen man sich mit relativ großer Freiheit bewegen können soll.

Du musst in deinem Menschenbild darauf vertrauen, dass deine Mitarbeitenden das, was sie machen, gut machen und Expertinnen und Experten dafür sind, was sie tun. Weil nur so der Freiraum geschaffen wird, den Herausforderungen, welche die Digitalisierung mit sich bringt, überhaupt begegnen zu können.

Wird das Thema Unternehmenskultur in der digitalen Transformation präsenter?

Seit 2018 erlebe ich eine starke Zunahme an Unternehmen, die sich mit dem Thema Unternehmenskultur beschäftigen. Und ich denke, dass wir noch nicht den Peak gesehen haben.

Spannend daran finde ich auch die Perspektive, die Unternehmen auf das Thema Unternehmenskultur haben. Die meisten Organisationen haben eine sehr klare Außenperspektive, welche Anpassungen der Unternehmenskultur der Markt erfordert. Es gibt also einen sehr sichtbaren Druck von außen.

Was viele Unternehmen aber nicht so klar haben, ist die Innenperspektive, dass auch Mitarbeitende eine Anpassung der Unternehmenskultur an die Digitalisierung erwarten. Mitarbeitende werden in ihrem täglichen Leben immer digitaler. Selbst die Oma benutzt ihr Smartphone und schreibt über WhatsApp mit ihren Enkeln. Da kannst du heute nicht mehr davon ausgehen, dass Mitarbeitende durch das Firmentor schreiten und ihre digitale Haut abstreifen. Sie haben keine Lust mehr auf anachronistische und analoge Prozesse. Dieser Innendruck ist nicht zu verachten.

Wie schaffen Organisationen Offenheit gegenüber Data Science-Ansätzen im Unternehmen?

Ich glaube, auf der Metaebene ist es zunächst einmal sehr wichtig, dass es eine viel stärkere Durchdringung von Menschen mit digitalem Mindset im Unternehmen gibt. Und dieses digitale Mindset beinhaltet meistens auch einen stärkeren Daten-Fokus.

Das Ziel ist es dabei, eine kritische Masse zu erreichen. Im Zweifel muss dann gar nicht mehr jede oder jeder überzeugt werden. Wenn beispielsweise alle über Microsoft Teams kommunizieren, dann musst du das eben auch, sonst findest du nicht mehr statt.

Der Begriff der kritischen Masse findet sich auch in der Diffusionstheorie nach Everett Rogers wieder*,* einer Theorie zur Verbreitung von Innovationen in sozialen Systemen. Die Einführung von Innovationen gleicht demnach einer Diffusion, in der verschiedene Adaptionstypen die Innovation zeitlich verzögert annehmen bzw. ablehnen. Erst wenn eine kritische Masse erreicht wird, gilt eine Innovation als selbsttragend [1].

Was ich dabei aber auch beobachte, ist, dass in den Paradigmen bereits viel gelöst ist, in der Breite der Mitarbeiterschaft aber noch Digitalkompetenzen fehlen.

Kannst Du da ein konkretes Beispiel geben?

Ein Beispiel ist das Thema Datenzugang: Per default sind heute alle Daten für jede und jeden im Unternehmen verfügbar. Während du früher immer Zugriffsrechte auf Daten beantragen musstest, müssen exklusive Daten heute als confidential markiert werden, damit diese nicht mehr öffentlich durchsuchbar sind.

In den Paradigmen fand ein Kulturwandel in Bezug auf den Datenzugang also bereits statt. Was aber noch in der Breite der Mitarbeiterschaft fehlt, ist die Fähigkeit mit den Daten umgehen zu können, daraus Insights zu generieren. Wobei man fairerweise fragen sollte: Muss jeder und jede Mitarbeitende immer alles interpretieren können? Wohl eher nicht. Wichtiger ist, dass das kulturelle Miteinander funktioniert, also Daten-Analysten und Mitarbeitende aus den Fachabteilungen gut zusammenarbeiten können.

Müssen Digitalkompetenzen von den Unternehmen stärker gefördert werden?

Ich kann das natürlich nur für die Otto Group beurteilen, aber wir haben für uns bestimmt, dass wir ein stärkeres Investment in die breitere Bildung tätigen müssen.

Ich glaube, wir müssen in der Breite der Belegschaft eine soziale Grammatik schaffen, sodass Grundbegriffe verstanden werden und wir uns untereinander unterhalten können. Wenn ich aus der Perspektive der Geschäftsführung immer nur in leere Augen schaue, dann funktioniert das einfach nicht. Um den Austausch zu fördern, brauchen wir deshalb ein gemeinsames Verständnis von Digitalisierung.

Welches Vokabular müssen wir teilen, um gemeinsam über Daten sprechen zu können? Dieser Frage gehen wir auch in unserem Artikel zu Data Literacy nach.

Wie lassen sich Digitalkompetenzen konkret fördern?

Bei der Otto Group haben wir ein sehr klares Curriculum erarbeitet und in Form eines Online-Kurses mit videobasierten Lerninhalten umgesetzt. Uns ist es dabei wichtig, ein gemeinsames Verständnis für die Digitalisierung bei unseren Mitarbeitenden zu schaffen.

Der Basiskurs ist deshalb für alle Mitarbeitenden Pflicht, von der Person, die das Zustellfahrzeug fährt, bis zum Mitarbeitenden im Call-Center. Uns ist es wichtig, dass beispielsweise jede und jeder versteht: Was bedeutet Netzwerkökonomie? Warum ist das wesentlich für uns? Was macht das mit uns? Warum müssen wir uns darauf vorbereiten?

Was bedeutet das konkret für das Thema Daten?

In den Videos diskutieren wir beispielsweise warum Daten für die Otto Group wichtig sind oder auch die Frage: Wie gehe ich mit Daten um? Ein großes Modul behandelt auch das Thema Datenschutz: Was bedeutet eigentlich Datenschutz? Warum ist die DSGVO wichtig? Welche Auswirkungen hat die DSGVO auf meine tägliche Arbeit?

Die Abkürzung DSGVO steht für die seit 2018 anzuwendende Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union und regelt die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Unternehmen.

Wichtig ist es dabei, eine gute Mischung aus Expertenwissen und Transfer in den Unternehmenskontext zu finden, denn am Ende ist das ja real. Also was hilft es dir, wenn ich dir erkläre, was eine Blockchain ist, aber auf deine Frage »Habe ich jetzt verstanden -- aber was macht das jetzt meinem Arbeitsplatz?« keine Antwort habe.

Wenn sich dann aber jemand hinstellt und sagt: »Das bedeutet für uns die bessere Nachvollziehbarkeit von Lieferketten. Damit kann die Kundin oder der Kunde genau sehen: Wurde das Produkt nachhaltig hergestellt? Wurde es ohne Kinderarbeit angefertigt?« -- dann kannst du es viel besser in einen Kontext einordnen.

Fällt es älteren Mitarbeitenden schwerer, sich auf die Digitalisierung einzulassen?

Dass ältere Mitarbeitende keine Lust auf Digitalisierung haben, halte ich für eine Zuschreibung. Das ist eine der größten Erkenntnisse und einer der größten Fehleinschätzungen, die ich so erlebe.

Ich erlebe, dass viele Themen nicht getrieben sind von der Hierarchie, von der Rolle, vom Geschlecht, von der Betriebszugehörigkeit oder von der fachlichen Ausbildung, sondern aus einem Mensch sein. Bin ich neugierig? Habe ich Lust auf neue Themen?

Ältere Mitarbeitende können genauso neugierig sein wie junge Mitarbeitende. Oder junge Mitarbeitende können genauso avers sein wie ältere, auch wenn in der Tendenz jüngere Menschen natürlich digital affiner sind, einfach weil sie mit deutlich mehr Digitalität aufgewachsen sind. Aber ich finde, da muss man schon sehr vorsichtig sein, das nicht zu pauschalisieren.

Danke für das Gespräch, Tobias!

Das Interview führte Carolin Stolpe, sie erforscht, welchen Herausforderungen sich Organisationen auf dem Weg zur data-driven culture stellen müssen.

Referenzen

[1] Everett M. Rogers. Diffusion of innovations. Simon and Schuster, 2010.

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