Der Faktor Mensch – Technologien alleine machen keine digitale Transformation

Author
Carolin Stolpe
Impact Distillery
Author
Prof. Dr. Marcel Hebing
Impact Distillery
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Digitalisierung ist für die Überlebens- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen essentiell geworden. Trotzdem bleibt der digitale Wandel so abstrakt, dass viele ihn lieber erst in der Zukunft gestalten möchten. Digitale Transformation ist mit Unsicherheiten verbunden, wie neue Technologien das Arbeiten verändern werden. Digitale Transformation bedeutet, mit einem neuen Tempo umgehen zu lernen, bei dem der aktuelle Wissensstand sehr schnell veraltet. Gleichzeitig werden die zu lösenden Herausforderungen komplexer. Dabei gilt: Digitalisierung ist ein Wandel, der bleibt. Digitalisierung ist unausweichlich und unumkehrbar [1].

Mit der Coronakrise wurde die Kraft der Digitalisierung wohl auch denen deutlich, welche die Notwendigkeit der digitalen Transformation bisher eher skeptisch gesehen haben. Unternehmen, bei denen Arbeit auch aus dem Home-Office effizient organisiert wird, demonstrieren inzwischen wirkungsvoll die Widerstandsfähigkeit und Flexibilität, welche sie mithilfe der digitalen Technologien auch in Krisenzeiten realisieren. Abseits von physischen Büros wird deutlich, wie Akzeptanz und Einstellung gegenüber digitalen Technologien in der Organisationskultur verankert sind und wie agil Unternehmen auf Veränderungen reagieren können. Vor allem wird aber auch klar: Die Kraft der Digitalisierung kommt nicht nur aus den neuen Technologien selbst, sondern auch aus der Art, wie Menschen mit den Technologien umgehen und sie in ihren Arbeitsalltag integrieren.

Catchphrase digitale Transformation

Digitalisierung und digitale Transformation werden oft synonym verwendet. Der Begriff der Digitalisierung bezieht sich primär auf den technischen Prozess, analoge Signale in digitale Signale umzuwandeln, wohingegen die digitale Transformation weit darüber hinausgeht und vor allem soziotechnische Betrachtungen miteinbezieht [2]. In der digitalen Transformation geht es um Veränderungen, die von digitalen Technologien ausgelöst werden und sich in neuen Geschäftsmodellen, Produkten und einer Veränderung von Organisationsstrukturen sowie der Automatisierung von Prozessen widerspiegeln [3].

Was die digitale Transformation konkret für ein Unternehmen bedeutet, ist auf Grund der ungleichen Startpositionen durchaus verschieden [4]. Aus der Bedeutung des Wortes Transformation lässt sich jedoch bereits ableiten, dass das Ziel zum digitalen Unternehmen zu wachsen, nicht durch einen Sprint mit kurzfristigen Änderungen zu erreichen ist. Stattdessen gleicht die digitale Transformation vielmehr einem Marathon, einem umfassenden Prozess, der tiefe Einschnitte für die Funktionsweise eines Unternehmens bedeutet und der nur durch kontinuierliche Weiterentwicklung gelingt [5].

Herausforderungen in der Umsetzung

Technologische Trends wie Social, Mobile, Analytics, Cloud und Internet of Things (SMACIT-Stack) konvergieren [6] und machen es nahezu jedem Unternehmen möglich vielseitig Daten zu erfassen und auszuwerten. Das passiert in der Marketingabteilung, die ihre Omnichannel-Kampagne optimiert, genauso wie in der Industrie, die einen zukünftig möglichen Ausfall der Produktionsmaschinen durch Predictive Maintenance vorhersagt.

Wenn Unternehmen auf uns zukommen, berichten sie häufig, dass sie bereits kleinere oder größere Digitalisierungsprojekte erarbeitet haben. Die entwickelten Lösungen scheinen vielversprechend und wären bereit für den Einsatz. Das Problem aber ist, dass sie dann oft nicht genutzt werden, sondern einfach wieder in der Schublade verschwinden. Der gesamte Aufwand, der in die Evaluierung der neuen Technologien und daraus resultierenden Projekten geflossen ist, bleibt wirkungslos. Warum ist das so?

Unbekanntes macht Angst

Hinter der mangelnden Nutzung eingeführter (technischer) Lösungen stecken häufig Akzeptanzbarrieren seitens der Mitarbeitenden. Digitale Technologien können bedrohlich wirken, wenn für Mitarbeitende das Gefühl entsteht, in Konkurrenz mit der neuen Technologie zu stehen. So ruft künstliche Intelligenz bei vielen Mitarbeitenden Ängste hervor, ersetzt zu werden und ihren Job zu verlieren. Aber selbst wenn Mitarbeitende keine Angst haben, durch digitale Technologien ersetzt zu werden, heißt das noch nicht, dass sie neue Technologien bereitwillig nutzen. Wenn sie das Gefühl haben, die neue Technologie nur unzureichend beherrschen zu können oder keinen Mehrwert für sich selbst oder das Unternehmen erkennen, werden sie wahrscheinlich mit Akzeptanzbarrieren reagieren.

Parallel zur schnell wachsenden Menge an Daten, die zur Steuerung von Prozessen und Geschäftsabläufen zur Verfügung stehen, kommen auch immer komplexere Algorithmen zum Einsatz. Bei vielen dieser Algorithmen handelt es sich um sogenannte Black-Box-Modelle -- dabei sind lediglich die Ausgangsdaten und das finale Ergebnis bekannt. Warum jedoch auf dieser Basis die entsprechende Empfehlung erfolgt, ist meist nicht nachvollziehbar und lässt alle Beteiligten und insbesondere Entscheider verunsichert zurück. Konzepte wie Explainable AI (XAI) helfen solche Unsicherheiten und Unverständnis zu überwinden, indem sie Entscheidungsmechanismen verständlich und nachvollziehbar darstellen.

Lesen Sie zum Thema Explainable AI auch unseren Artikel mit Dr. Steffen Wagner von INWT Statistics:

Vertrauen ist gut, Verständnis ist besser

Modell der digitalen Transformation

Um uns dem Thema der digitalen Transformation strukturiert zu nähern, haben wir ein Modell entwickelt, welches uns hier und in der täglichen Arbeit hilft, den praktischen Herausforderungen dieses Wandels zu begegnen (Abbildung 1). Dabei sehen wir die digitale Transformation als einen Prozess innerhalb von Unternehmen und anderen Organisationen, welcher durch externe Veränderungen motiviert wird.


Abbildung 1. Modell der Digitalen Transformation Gesellschaftliche Veränderungen und technologische Innovationen stellen den Rahmen der digitalen Transformation dar und erzeugen gleichzeitig Druck auf Unternehmen sich an den Wandel anzupassen.

Neue Technologien sind der strategischen Ausrichtung und den Anforderungen der Organisation entsprechend auszuwählen. Mitarbeitende und Führung müssen die notwendigen Kompetenzen mitbringen oder erlernen, um mit neuen Technologien umgehen und sie gewinnbringend einzusetzen zu können. Die Organisation ihrerseits muss eine Kultur schaffen, welche bei den Mitarbeitenden Akzeptanz für Veränderungen schafft


Der dargestellte Prozess vollzieht sich im Spannungsfeld der Organisation, der neuen Technologien und der Mitarbeitenden. Neue Technologien haben dabei der strategischen Ausrichtung und den Anforderungen der Organisation zu entsprechen. Mitarbeitende und Führung müssen die notwendigen Kompetenzen mitbringen oder erlernen, um mit neuen Technologien umgehen und sie gewinnbringend einzusetzen zu können. Die Organisation ihrerseits muss eine Kultur schaffen, welche bei den Mitarbeitenden Akzeptanz für Veränderungen schafft, insbesondere in Bezug auf die Einführung neuer Technologien und Arbeitsweisen.

Fazit

Die Herausforderung der digitalen Transformation besteht nicht allein in der Wahl der richtigen Technologien, sondern vor allem darin, die Mitarbeitenden abzuholen und neue Technologien so zu integrieren, dass sie Mitarbeitenden Freiräume für andere Aufgaben, wie Kreativ-Prozesse, gewinnen. Damit ein digitaler Wandel möglich ist, braucht es deshalb auch eine Organisationskultur, die offen gegenüber Veränderungen ist und die Mitarbeitenden darin ermutigt, neue Technologien auszuprobieren.

In Teil 2 unseres Dossiers widmen wir uns deshalb dem Thema Organisationskultur: Welche Werte werden in der digitalen Transformation wichtig? Und wie sieht eine Organisationskultur aus, die Veränderungen unterstützt?

Weiter zum zweiten Teil unseres Dossiers: Fünf erste Schritte zu einer datengetriebenen Organisationskultur

Über die Autor:innen

Carolin Stolpe erforscht, welchen Herausforderungen sich Organisationen auf dem Weg zur data-driven culture stellen müssen.

Prof. Dr. Marcel Hebing beschäftigt sich in der Forschung und als Berater mit der Frage, wie wir Data Science gewinnbringend in Unternehmen und darüber hinaus einbringen können.

Literatur

[1] G. Oswald und H. Krcmar, Digitale Transformation: Fallbeispiele und Branchenanalysen. Springer, 2018.

[2] C. Legner, T. Eymann, T. Hess, C. Matt, T. Böhmann, P. Drews, A. Mädche, N. Urbach und F. Ahlemann, „Digitalization: Opportunity and Challenge for the Business and Information Systems Engineering Community", Business & Information Systems Engineering, Jg. 59, Nr. 4, S. 301--308, 2017.

[3] T. Hess, C. Matt, A. Benlian und F. Wiesböck, „Options for Formulating a Digital Transformation Strategy", MIS Quarterly Executive, Jg. 15, Nr. 2, 2016.

[4] P. Parviainen, M. Tihinen, J. Kääriäinen und S. Teppola, „Tackling the Digitalization Challenge: How to Benefit from Digitalization in Practice", International Journal of Information Systems and Project Management, Jg. 5, Nr. 1, 2017, S. 63-77

[5] A. Singh und T. Hess, „How Chief Digital Officers Promote the Digital Transformation of their Companies", MIS Quarterly Executive, Jg. 16, Nr. 1, 2017.

[6] U. Creusen, B. Gall und O. Hackl, Digital Leadership: Führung in Zeiten des digitalen Wandels. Springer, 2017.

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